„Wolle mer’n drauße losse?!“

Da ist das Jahr fast zu Ende – und ich wollte doch eigentlich noch mit der Meenzer Fassenacht in Gestalt der Ranzengarde abrechnen. Die Diskussionen zum Thema sind ja nun wahrlich nicht mehr ganz neu, aber da nun am 02.01.11 die alle zwei Jahre stattfindende Überreichung des Ehrenpreises dieser Garde wieer ansteht, wird die Sache auch für Nicht-Fassenachter interessant. 2009 bekam diesen Preis nämlich Thilo Sarrazin verliehen. Und der soll nun die Laudatio auf den neuen Preisträger Lars Reichow halten.

So weit die eigentliche „Handlung“. Als erhellenden Hintergrundbericht kann ich folgenden Beitrag der 3sat-Kulturzeit empfehlen: „Fassenacht und keiner lacht“. Bei den Diskussionen, die dieses Ereignis ausgelöst hat, gewinnt man nun mehr und mehr den Eindruck, dass einigen Beteiligten ihr gesunder Menschenstand abhanden gekommen bzw. „in de Ranze“ gerutscht ist. Allen voran und mit lautem Getöse der Herr Generalfeldmarschall Johannes Gerster, der mir irgendwie das Gefühl vermittelt, der Auftritt Sarrazins sei das schönste Geschenk, das man ihm zu seinem 70 Geburtstag (just am Tag der Preisverleihung) hätte machen können.

Auf einen Kommentar von Joachim Knapp in der Mainzer Rhein-Zeitung (an dieser Stelle: „Danke!“) antwortet er mit einem – aus meiner Sicht – derart peinlichen Leserbrief, dass sich einem die Fußnägel aufrollen. Besonders niedlich der Rückgriff auf mein Lieblingsargument ‚Sozialneid‘: „(…) Jedenfalls kann der Journalist von Bucherfolgen eines Sarrazin und von vollen Hallen wie Reichow allenfalls träumen (…)“ Na klasse, Herr Gerster! Und im nächsten Satz folgt dann sein zweites Top-Argument ‚Humorlosigkeit‘.

Damit begegnet er ja grundsätzlich jedem der „Mucker und Philister“, die seine Begeisterung für den Auftritt seines Idols nicht teilen. Angesichts seiner beiden Aussagen aus dem 3sat-Beitrag („Wir verleihen einen Preis für Originalität, Witz und schwarzen Humor. Und da passt Sarrazin rein.“ und „Wir bewerten doch keine politischen Inhalte. Sondern wir zeichnen Menschen aus, die in der modernen Gesellschaft Unkonventionelles auch auf witzige Weise zum Ausdruck bringen. Da gehört Sarrazin dazu.“) kann mir der lustige Ranzengardist von nebenan vielleicht einmal erklären, was genau an Rassismus und absurden Gen-Theorien denn jetzt so irrsinnig witzig, originell und humorig ist.

Da würden mir spontan noch ein paar würdige Preisträger für die Zukunft einfallen. Möglicherweise auch posthum. Herr Reichow würde sicher die richtigen Worte für seine Laudatio in zwei Jahren finden. Da mache ich mir keine Sorgen.

Angesichts des völligen Unsinns, den der überaus witzige Herr Sarrazin da unters Volks streut, um sich anschließend in der  Weihnachtsausgabe der FAZ ganzseitig selbst zu beweihräuchern, bleibt mir jedenfalls das Lachen im Halse stecken. Ach ja… Klar… Wahrscheinlich bin ich auch nur eine von diesen blöden Spaßbremsen, die den lustigen Fassenachtern die Redefreiheit absprechen wollen. Von denen, die mit ihrer „humorlosen und grauen Unduldsamkeit“ eine Hexenjagd auf Menschen, die mutig kontroverse Themen aufgreifen, anzetteln.

Wahrscheinlich kann man das alles aber auch nur verstehen, wenn man einen Titel wie „Seine Excellenz Generalfeldmarschall Dr. h.c. Johannes von Gerster Hin- und Herzog von Mainz nach Jerusalem. Kommandeur aller dicken Bäuche. Ritter von Quellkartoffel und Hering. Erstersteiger des Gutenbergdenkmals und Träger des Führerscheins Klasse 3″ trägt – und darüber auch noch lachen kann. Welche Art von Humor ist das?

Kann man das nur verstehen, wenn man sich während Fußball-WMs Deutschland-Fähnchen ans Auto bastelt? Oder wenn man Grönemeyer toll findet und in einem Kegelclub ist? Oder muss man dafür im Spanien-Urlaub bereits um fünf Uhr morgens kampfbereit mit dem Handtuch am Pool auftauchen? Eigentlich passt Sarrazin so richtig gut zur Tradition der Mainzer Fassenacht – da hat Gerster schon recht. Beiden gemein ist jener „Herrenreiter-Humor“, den die Sieger der Geschichte an den Tag legten, wenn sie ihre Opfer dazu aufforderten, sich „nicht so zu haben“ und ihre eigene Vernichtung mit einem Lachen zu quittieren. In dieser Form traten ja bereits einige Büttenredner der 70er und 80er Jahre auf, um den gröhlenden Mob in den Sälen und Straßen gegen Ausländer, Studenten, Feministinnen, Gewerkschafter und andere „Mucker und Philister“ aufzubringen.

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