„Soul Happy Hour“

Woran liegt es nur, dass bei jeder öffentlichen oder halböffentlichen Veranstaltung immer der eine Mensch dabei ist, der einen nahezu in den Wahnsinn treibt? Bei Konzerten ist er meist betrunken und fällt durch nervige Zwischenrufe auf. So zum Beispiel bei Billy Bragg im letzten Jahr in London. Da kamen von irgendwo schräg hinter uns ständig „Stop Racism! Yeah Billy!“-Rufe, die zwar gutgemeint, aber irgendwie sinnlos waren. Vor ein paar Monaten bei Rainald Grebe das gleiche Spiel. Diesmal saß der Witzbold ein bis zwei Reihen hinter uns und lachte wiehernd an den unpassendsten Stellen.

Bei Wilfried Schmickler und Urban Priol exakt das gleiche: schwachsinniges Gekreische von schräg vorne bzw. hysterisches Gelächter von rechts. Und was passiert heute? Schönes Wetter, ein Spaziergang im Rheingau. Wir landen in der Nähe des Klosters Eberbach und schlendern durch den Steinberg. MrFlax sieht zufällig ein Schild „Kellerführung 14 Uhr“ und meint, das sei doch sehr interessant. Und noch dazu zufällig in zehn Minuten! Wir nähern uns dem Treffpunkt im Pavillon – und da steht er schon: die Reblaus unter den Hobby-Önologen, der Mann, der alles weiß und es jedem erzählen muss.

Wir schließen uns der Führung trotzdem an. Der nette Geisenheimer Student, der interessant über die Geschichte der hessischen Staatsweingüter und den Weg der Traube in die Flasche zu berichten weiß, wird im Minutentakt unterbrochen, vom Reblausmann korrigiert, ergänzt und irritiert. Der Reblausmann kennt alle Maschinen, die bei der Verarbeitung eine Rolle gespielt haben könnten, deren Stärken und Schwächen, weiß alle Rebsorten alphabetisch aufzuzählen, kennt jeden Weinberg der Gegend beim Namen und hat wahrscheinlich in den vergangenen Jahren jeden Winzer in Rheingau und Rheinhessen bereits um den Verstand gebracht. Wahrscheinlich war er selbst jahrelang ein Eichenfass – zumindest klingt er so. Er ist eindeutig auf einer Mission. Und von der wird er auch in absehbarer Zeit nicht ablassen. Zwei gute Gelegenheiten, ihn unauffällig verschwinden zu lassen, verstreichen ungenutzt. Im Treppenhaus hätte ich nur ein wenig schneller sein müssen…

Der kleine Mann mit der Baskenmütze und den Wildlederschuhen treibt mich an den Rand des Wahnsinns. Da MrFlax heute fährt, verleibe ich mir hastig erst meinen und dann seinen Probierwein ein, um nicht die Nerven zu verlieren. Der Wein ist toll! Immerhin der erste Weißwein meines Lebens, der mir wirklich schmeckt. Sensationell! Die Architektur des Neubaus ist ebenfalls klasse. Tolle Fotos gibt das. Mehrfach rennt mir die Reblaus ins Bild. Mann! Er weiß immer alles besser als alle anderen, labert und labert und labert und lacht zwischendurch gackernd über seine eigenen Sprüche.

Als die Führung zu Ende ist, textet er auf dem Hof noch eine Gruppe von acht Personen zu, die er an seinen wahnsinnig interessanten Erkenntnissen teilhaben lassen will. Wir fliehen vom Gelände. Ist er gesandt, uns zu prüfen? Ist es immer der gleiche Typ? Wie kann man ihn dauerhaft loswerden? Kann man ihn sich schön trinken, wenn man mehr Wein hat? Viel mehr Wein…?

„I don’t care for sport or swimming
I don’t care for all those nasty old bogeys
I don’t care for what’s on TV
I just want to drink til I can’t see.
I wish I’d been born a tree, someone’d come and make a barrel out of me.“
– The Jazz Butcher

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