Friedliche Koexistenz? – Overrated!

Im Laufe des Tages hatte man mehrfach einen Lennon-Song auf den Lippen, denn was da vor dem Bürofenster abging, war wirklich martialisch. Die Meisen kannten weder Freund noch Feind angesichts der neu aufgehängten Meisenknödel.

In ihren kleinen, unterentwickelten Gehirnen war offenbar ausschließlich Platz für ein einziges Wort: Futter! Alles andere – Verwandtschaftsgrad, lange Stunden schier endloser Nesthockerei, Freundschaften oder niedliche Optik – zählte nicht mehr. Besonders die Blaumeisen wurden zwischendurch extrem aggressiv. Da war man wirklich kurz davor, das Fenster zu öffnen und energisch „Jetzt ist aber Schluss! Entweder, ihr vertragt euch oder das Futter ist gleich weg, Jungs!“ zu schreien. Wirklich unglaublich, was sich da abspielte.

„… Imagine no possessions
I wonder if you can
No need for greed or hunger
A brotherhood of man
Imagine all the people
Sharing all the world
You may say that I’m a dreamer
But I’m not the only one
I hope someday you’ll join us
And the world will live as one…“

Gut… Dann halt „brotherhood of tits“. Is‘ klar. Jedenfalls waren das definitiv keine süßen Vogelbabies mehr. Das waren reißende Bestien! Was haben wir nur aus ihnen gemacht? Wir waren entsetzt. Das wirkte, als ob man einen blutigen Brocken Fleisch in ein Aquarium voller Piranhas geworfen hätte. Wir standen voller Abscheu und Selbstzweifel vor der Scheibe.

Wahrscheinlich würden sich mich beim nächsten Versuch, Erdnusssäckchen oder sonstiges Futter in den Baum zu hängen, mit den guten Gaben in der Hand zerfleischen. Die Fenster blieben geschlossen. Zumindest die direkt am Hitchcock-Baum. Fiese Tippi-Hedren-Assoziationen tauchten auf. Gottlob bin ich nicht blond.

„… Imagine there’s no countries
It isn’t hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion too
Imagine all the people
Living life in peace…“ 

Morgen erwarten wir eine neue Lieferung Futter. Wir bestellen mittlerweile bei „Fressnapf“ direkt ins Büro. Versandkostenfrei und wesentlich günstiger als in den meisten Baumärkten und Zoohandlungen. Das nur nebenbei bemerkt – falls noch wer harmlose Vögel zu extrem bösartigen Kreaturen umerziehen oder Kampfmeisen abrichten möchte. Mal gespannt, wie die Viecher mit dem neuen Streufutterbehälter klar kommen. Der „Futterboy“ jedenfalls ist nach der Freiheitsberaubungsaktion jetzt in den Müll gewandert. Am Ende sitzt eine Meise da das ganze Wochenende über drin fest, die wir dann montags entkräftet oder tot vorfinden müssen. Durchgefallen, das blöde Ding!

„… You may say that I’m a dreamer
But I’m not the only one
I hope someday you’ll join us
And the world will live as one.“ – John Lennon

Den Glauben an das Gute in der Meise gaben mir dann die heimischen Futterstellen zurück. Fröhliche, gutgelaunte Meisen belagerten Sonnenblumen und Staudenbeet, naschten ein paar Erdnüsschen und machten insgesamt einen netten und ausgeglichenen Eindruck. Geht doch!

Was nicht geht bzw. nicht aufgeht ist das Gras. Der Bauherr prophezeit für morgen den großen Durchbruch. Ich will ihm mal glauben. Alles andere würde mich doch sehr enttäuschen.