Si tacuisses…

Das muss jetzt mal raus, sonst platze ich. Knapp neun Stunden lang heute war ich gezwungen, den Worten der Kollegin direkt neben mir zu lauschen. Nicht, dass ich das nicht bereits seit mehr als zehn Jahren tagtäglich täte, aber heute war es wirklich richtig schlimm.

Gibt es eine Krankheit, die nach und nach zum Verlust der Muttersprache führt? Also nicht so, dass man sich nicht mehr verständigen könnte, sondern so, dass man sämtliche grammatikalischen Grundregeln nach und nach über den Haufen wirft. Gibt es das? Falls ja: Sie hat es…

Es handelt sich in erster Linie um eine akute Akkusativ-Nominativ-Insuffizienz, d.h. an allen Stellen im Satz, an denen üblicherweise ein Nominativ stehen müsste, verwendet sie einen Akkusativ. Und umgekehrt. Zwei Beispiele: „Hallo. Kann ich bitte mal der Herr Müller sprechen?“ oder „Ist den Herrn Müller nicht da?“ Nach mehreren Stunden kann das schon enorm schlauchen. Ehrlich. Das geht einem dann ganz schön auf der Senkel.

Hinzu kommt die Tatsache, dass sie keinerlei Fremdsprache beherrscht. Nicht mal ansatzweise. Prinzipiell nicht so wahnsinnig schlimm, aber in ihrem Aufgabenbereich irgendwie schon. Dabei scheitert sie nicht mal mal an Worten wie „Albuquerque“ oder Sätzen wie „I think I thought I saw you cry“, sondern bereits an einfachen Dingen. „Ebeeeh“ ist ebay. „Emehl“ ist eMail. „Schosseee“ ist José. Und so geht das den ganzen Tag…

Auch schlimm: Ortsnamen wie beispielsweise „Gua de Lumpur“ oder „Bosnia und Herzengowina“. Und wenn sie sich einmal festgelegt hat, bleibt sie dabei. Stur. Unbelehrbar. Lernresistent.

Das gleiche bei bestimmten Formulierungen, die sie sich einmal antrainiert hat, z. B. „Das ist der Kurs, der mittags von der Börse kommt“. Stimmt so nicht. Hat nie gestimmt. Ist aber so. Basta! Oder auch „Das ist nur aus statistiken Gründen“. Nein. Isses nicht! Es ist „zu statistischen Zwecken“ so. Ganz einfach. Und es heißt auch „kanadische Dollar“ und nicht „Kann-Dollar“. Und was sie beim Kundentelefonat in Erfahrung bringen will, ist ein „aussagefähiger“ und kein „aussagender“ Verwendungszweck. Und die Datenübertragung funktioniert über „File Transfer“ und nicht über „Pfeil-Transfeeeer“.

Dabei ist sie wirklich ziemlich rumgekommen in der Welt. In teilweise auch abgelegenen und exotischen Gegenden. Fragt sich nur wie – ohne Englisch. Aber offensichtlich geht es. Lustigerweise ist der Standardkommentar nach Reisen in 90 Prozent der Fälle: „Australien? Ich muss net nochma‘ hin.“

Nach einem ausgedehnten Mauritius-Urlaub befragt, lautete die gelangweilte Antwort: „Ach… So grün wie Bali, aber keine Kultur…“ Kultur?! Ja, wenn man die immer nur im eigenen Kulturbeutel sucht…

Keinerlei grammatikalische Fehler macht sie übrigens alle zwei Wochen beim Absingen von „Stern des Südens“ in der Allianz-Arena.
Das nervt halt alles ziemlich. Mangelnde Bildung und / oder Fremdsprachenkenntnisse sind normalerweise nichts, das mich irgendwie aus der Fassung bringen oder gar zu Überheblichkeit verleiten könnte. Besondere Freundlichkeit oder Herzlichkeit oder Ehrlichkeit des Gegenübers wiegt das meist locker auf.

Blöderweise ist der schlimmste Fehler meiner Kollegin jedoch die völlige Orientierungslosigkeit in Bezug auf Personalpronomina. Beispiel: Chef: „Aaah! Frau XY, wer hatte denn die tolle Idee?!“ – Kollegin: „Das habe ich mir letzthin überlegt.“ Gegenbeispiel: Chef: „Mein Gott, wie konnte das denn passieren?!“ – Kollegin: „Oh. Da haben wir wohl nicht aufgepasst…“ oder auch nach telefonischen Anfragen: „Kein Problem. Das suche ich Ihnen raus.“ *Höreraufleg* „Ähhh… Kannst du mal bitte…“


Bei Tätigkeiten mit Vier-Augen-Prinzip lautet der Satz nach Fehlern prinzipiell, wenn sie selbst erfasst hat „Da hast du aber nicht richtig kontrolliert!“, und wenn sie kontrolliert hat „Was hast du denn da erfasst?!“. Beides jeweils in höchst empörtem Ton vorgetragen.

Und wenn man ihr auf die Frage „Kannst du mir das mal übersetzen?“ (hier handelt es sich meist um Sprachen, die ich nicht im Ansatz beherrsche – wie Russisch, Portugiesisch, Koreanisch oder auch Altsumerisch (wahlweise Hethitisch oder Babylonisch)) eine einigermaßen zufriedenstellende Antwort liefert, kommt stets: „Ach. Das hab‘ ich mir gedacht.“ Na, dann…


Als ich ihr heute erklärt habe, dass ich nichts Böses mit der Kamera will – außer den Eichelhäher fotografieren, meinte sie: „Und wenn den Eichelhäher heute nicht kommt?“ Ausgesprochen kluger Einwand. Den Eichelhäher kam nämlich heute nicht. Da konnte ich der Eichelhäher leider auch nicht fotografieren. Aber ich habe der Sperling erwischt. Und der Sperlingkampf. Und dieser dicker Vogel… Und dieser… Immerhin…

Am Ende traf ich ziemlich genervt zu Hause ein. Eine der ersten Amtshandlungen war die Suche nach einem bestimmten Reiseführer. Und dabei passierte es dann. Mein Blick fiel auf DAS hier. Nein. Bitte. Nicht. Den Tag ist gelaufen.

4 Kommentare

  1. Und warum schenkst du ihr nicht mal eine „Munddusche“? Es wird zwar nicht gerade ihren Intellekt erhöhen, aber vielleicht etwas den sprachlichen Innenraum ihres „Mundwerkes“ etwas bereinigen.
    Vielleicht fliessen dadurch die Wörter in einer entsprechenden und verständlichen Ausdrucksweise? 😉
    Was macht eigentlich eure „Boingfutterstelle“?

    LG „das“ rolf

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