Vom Totschweigen und vom Angeben

Mit diesem Brot habe ich gestern bereits auf Instagram geprahlt. Und ich wiederhole mich gerne: Es ist das hübscheste Brot, das ich je gebacken habe. Glaube ich. Auf alle Fälle ist es das für mich beeindruckendste. Und ein solches Erfolgerlebnis war auch dringend nötig, nachdem ich am vergangenen Wochenende einen Versuch am Mainzer Paarweck in den Sand gesetzt habe.

Den wollte ich schon längst mal im heimischen Ofen testen. Ich fand auf dem Plötzblog auch ein Rezept. Ich hielt mich – wie immer beim ersten Versuch – auch sklavisch daran. Hatte gar extra dafür bereits eine Woche vorher einen erneuten Sauerteigansatz-Versuch gestartet. Lief auch alles soweit perfekt. Aaaber: Die für eine Kanutour auf der Lahn eingeplanten „Schössje“ (so heißen die Dinger in meiner alten Heimat) wurden echt gute Brötchen – aber nicht die, die ich wollte.

Die Kruste glänzt nicht und ist nicht dunkel genug. Sie platzt nicht ab beim Reinbeißen. Eine echte Enttäuschung. Ich werde aber dran bleiben. Zumal sich mein Sauerteig gerade perfekt entwickelt.

Auf der Lahn jedenfalls gab es dann die Dinger da oben mit Käse belegt, während wir uns hinter die gleichzeitig gestarteten Boote mit feierfreudigen Ballermanntouristen zurückfallen ließen. Wir glitten anschließend entspannt vorbei an Seerosen über die schattige Lahn – grün rechts, grün links, blau oben, blau unten. Es war relativ viel los, aber abseits der Staustufen, in denen wir wieder auf die Party People trafen, war es trotzdem herrlich entspannend.

Da wir auf den Zwischenstopp in Obernhof verzichteten, weil wir bereits vom Wasser aus mit „Eins kann mir keiner, eins kann mir keiner, eins kann mir keiner, eins kann mir keiner, eins kann mir keiner nehmen, und das ist die pure Lust am Leben…“ malträtiert wurden, kamen wir flott voran. Zu den Klängen von „Bruttosozialprodukt“ paddelten wir gehetzt an der Anlegestelle vorbei. Da musste jemand eine „Best of Geier Sturzflug“ angeworfen haben. Puh! Nix wie weg!

Als wir in Nassau unser Boot abgaben, wurden wir gefragt, ob wir tatsächlich in Laurenburg gestartet seien. Wir waren wohl recht schnell gewesen. Dazu muss ich aber auch sagen, dass ich meine Steuerkünste inzwischen deutlich verbessert habe. Beim letzten Mal haben wir durch meine seltsamen Lenkmanöver vermutlich auf die 14 Kilometer noch zwei oder drei extra draufgepackt.

Aber jetzt zurück zum Sauerteig! Nach dem Schössje-Tiefschlag fütterte ich meinen Sauerteigansatz (er wird übrigens keinen Namen bekommen!) stoisch weiter und stieß montags auf folgendes Blogpost auf lamiacucina.blog: „Der Apfel und die Mutterhefe“. Ah! Noch ein Lievito-Madre-Analphabet wie ich! Jemand, der mein Gefühl von „Ich bin die Nemesis der Hefe“ nachvollziehen kann.

Und: Auf der Arbeitsplatte lag ein Apfel, der eigentlich längst hätte gegessen werden sollen, und der so langsam vor sich hinschrumpelte. Ich hangelte mich per Link zu anonymekoeche.net vor: „Mit Laib und Seele“. Das Schicksal des Schrumpelapfels war besiegelt. Ich setzte einen zweiten Sauerteig an, der ebenfalls keinen Namen erhalten wird.

Und wie es der Zufall wollte: Zusätzlich zur Lievito-Madre-Anleitung befand sich in diesem Blogpost ein Rezept für ein Pane Pugliese, ein reines Sauerteig-Brot aus Hartweizenmehl – Semola di Grano Duro Rimacinata. Und exakt dieses Mehl stand angebrochen von der Pastaherstellung direkt neben der Stelle, an der sich kurz zuvor noch der Apfel befunden hatte. Das konnte kein Zufall sein! Das war Schicksal!

Ich beschloss, dass dieses Schicksal mir sagen wollte, dass dieses Brot zu mir will. Na gut. Wenn das Schicksal das sagt. Von meinem ersten Sauerteigansatz war schon wieder reichlich vorhanden. Ich legte los, musste aber das Rezept – was die Gehzeiten angeht – stark verändern. Als Backtag war Freitag Mittag geplant. Zudem war ich mir nicht sicher, wie stark mein Sauerteig schon war. Egal. Versuch mach kluch! Ich legte los:

Pane Pugliese

Gericht: Backblech, Brotkörbchen, Schmortopf
Kalorien:

Zutaten

  • 200 g aktiver Lievito Madre
  • 150 g Weizenmehl (3 x 50 g zum Auffrischen) plus 150 g Wasser
  • 600 g Hartweizenmehl (Semola di Grano Duro Rimacinata)
  • 400 g lauwarmes Wasser
  • 20 g feines Meersalz

Anleitung

  • Sauerteig dreimal auffrischen. Die dreimal innerhalb von zwölf Stunden im Originalrezept kamen aus Zeitgründen nicht in Frage, da der Ansatz und ich uns unter der Woche niemals zwölf Stunden lang am gleichen Ort befinden. Um ihn gleichzeitig noch etwas zu stärken, frischte ich ihn dreimal alle zwölf Stunden mit je 50 g Mehl und 50 g Wasser auf. Er legte ordentlich zu.
  • Am zweiten Tag abends (nach: erster Tag morgens und abends und zweiter Tag morgens auffrischen) verknetete ich ihn in einer Schüssel mit dem Hartweizenmehl und 380 g lauwarmem Wasser. Handtuch drüber - und über Nacht ab in den Kühlschrank.
  • Morgens - am dritten Tag (= Backtag), befreite ich ihn aus dem Kühlschrank und stellte die abgedeckte Schüssel aus dei Arbeitsplatte. Als ich etwa neun Stunden später nach Hause kam, sah er schon recht vielversprechend aus.
  • Nach kurzem Überlegen entschied ich mich fürs Kneten in der Küchenmaschine ("Frevlerin! Steinigt sie!"). Der Teig, das Salz und die restlichen 20 g lauwarmes Wasser landeten in der Rührschüssel und wurden etwa fünf Minuten geknetet. Anschließend war der Teig sehr weich, aber nicht klebrig. Und deutlich kompakter als ich erwartet hatte.
  • Ich ließ ihn erstmal eine halbe Stunde abgedeckt durchschnaufen. Als ich nachschaute, warf er bereits Blasen. Ich dehnte und faltete ihn mit nassen Händen nach Claudios Anonyme-Köche-Anleitung: Am Rand hochziehen und zur Mitte hin falten. Das Ganze viermal von allen Seiten. Anschließend wieder abdecken und 30 Minuten gehen lassen.
  • Danach noch dreimal dehnen und falten mit jeweils 30 Minuten Ruhezeit zwischendrin.
  • Nach dem vierten Mal - der Teig hat jetzt deutlich an Volumen zugenommen - für eine Stunde abgedeckt in Ruhe lassen.
  • Im Anschluss Arbeitsplatte mehlen (mit Hartweizenmehl) und Teig darauf geben und auch von oben bemehlen. Flach drücken , in die Länge dehnen und von beiden Seiten zur Mitte hin einschlagen. Dann straff aufrollen und eine Kugel mit ordentlich Oberflächenspannung formen. Erst etwas Mehl, dann Handtuch drüber und nochmals 30 Minuten gehen lassen.
  • Derweil den Ofen mit einem Gussbräter mit Deckel darin auf 250°C Ober-/Unterhitze vorheizen.
  • Schließlich Teig nochmals rundwirken und nach Belieben einschneiden (von meinem ursprünglichen Muster war allerdings hinterher nichts mehr erkennbar...). An dieser Stelle war ich sehr fasziniert, wie sich der Teig an den eingeschnittenen Stellen "verhielt". Zum Verlieben, der Kleine.
  • Nochmals kurz gehen lassen. Den heißen Gusstopf aus dem Ofen holen und den Teig möglichst unfallfrei hineinplumpsen lassen. Deckel drauf und ab in den Ofen. Abwarten. Genau eine halbe Stunde lang. Vor dem Ofen und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand!
  • Nach einer halben Stunde den Deckel abnehmen, staunen und das Brot nochmals im offenen Topf etwa eine Viertelstunde abbacken, bis die Oberfläche knusprig und dunkel ist. Brot auf einem Kuchenrost abkühlen lassen. Frühestens nach zwei Stunden anschneiden.

Fotografiert habe ich es gestern spät noch. Und damit angegeben. Aber die zwei Stunden bis zum Anschnitt habe ich leider nicht überlebt. Das musste auf heute Morgen verschoben werden. Hier nochmal eine kurze Zusammenfassung des zeitlichen Rahmens zur besseren Planung:

1. Tag: morgens und abends auffrischen

2. Tag: morgens auffrischen und abends Teig ansetzen; über Nacht im Kühlschrank parken

3. Tag: morgens bei Zimmertemperatur für etwa neun Stunden weitergehen lassen; nachmittags geht’s dann los. Kneten und insgesamt zwei Stunden für die Strech-and-Folderei. Eine Stunde Gehzeit, dann zweimal formen, nochmals eine gute halbe Stunde Gehtzeit – macht insgesamt knapp neun plus vier Stunden reine Gehtzeit – plus Behandlungszeiten zwischendurch. Es folgt eine Backzeit von einer Dreiviertelstunde.

Klingt jetzt alles aufwendiger als es ist. Im Prinzip muss man sich nur während der letzten vier Stunden und während des Abbackens in der Nähe des Teigs befinden. Das ist machbar. Und es lohnt sich absolut. Das sagt sogar der Gatte. Heute morgen wurde das fertige Pane Pugliese nämlich angeschnitten:

Ein Traum. Echt. Und das völlig hefefrei mit einem noch recht jungen Sauerteig. Ich bin stolz auf ihn. Das hat er gut gemacht. Auch ohne albernen Namen.

Und wenn man das Brot freitags backt, kann man es samstags morgens in Ruhe zum Frühstück genießen. Mit Käse, Schinken und Ei. Mein Lieblingswochenendfrühstück hat nie besser geschmeckt! Ehrlich!

Und zum Merken, Mitnehmen und Nachbacken:

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