… und Fernsehplage

Es ist soweit. ESC-Time! Der Bauherr hat sich ausgeklinkt. Nachdem er mir bei der Raupenbeseitigung noch zur Seite stand, scheint das jetzt wirklich zuviel verlangt zu sein. Ist ja auch hart. Fällt wahrscheinlich nicht mal in die „In guten wie in schlechten Tagen“-Kategorie. Zu schlecht einfach.

Also muss ich da alleine durch. Was soll schon passieren, nachdem ich gestern Abend fast erblindet bin, weil mit eine Sektflasche mitten ins Gesicht explodiert ist. An sich noch erträglich, aber sich dann das Küchenhandtuch auf die Augen zu drücken, an dem man sich gerade erst nach dem Chilischneiden die Hände abgetrocknet hat, war wirklich keine gute Idee.

Traditionell hilft gegen „Grand Prix d’Eurovision de la Chanson“  nur dieses: Staunen, lästern und bei der Punktevergabe verzweifeln. Und ein Jahr später ist es dann wieder soweit.

Und heute ist ja auch für den langjährigen Beobachter ein großer Tag. Nicoles Sieg mit „Ein bißchen Frieden“ liegt dreißig Jahre zurück. Dreißig Jahre! Unfassbar! Wie alt war ich nochmal, als ich mit der Chipstüte und dem Malzbier staunend und frisch gebadet vor dem Fernseher saß?! Schweigen wir über etwas anderes!

Nach dem „Countdown“ mit massenhaft schlechter Musik, noch schlechteren Interviews und vielen, seltsamen Pseudo-Promis, die allesamt kurz vor der Sendung die gleiche bewusstseinsverändernde Substanz zu sich genommen zu haben schienen, bin ich jetzt ohnehin weichgeklopft genug, den Rest des Abends zu überstehen. Auf geht’s! „Light your fire!“

Engelbert singt mit brechender Stimme ein Wiegenlied. Vielleicht hätten die Niederlande mit Joopie Heesters als Interpreten die Vorrunde überstanden? Engelbert war schon immer schrecklich, und er ist nicht besser geworden. Diese falsche Inbrunst. Würg.

Zu Ungarn fällt mir jetzt irgendwie auch nicht soviel ein. Ehrlich gesagt überlege ich gerade, ob ich das heute wirklich bis zum Ende durchstehe. Das ist nicht mal lustig. Das ist nur doof. Habe die zweite Hälfte des „Compact Disco“-Auftritts genutzt, um den Biomüll zum Komposter zu bringen.

Kann mal bitte jemand der Albanerin aus der Falle helfen?! Die Frau hat offensichtlich Schmerzen. Immerhin kann sie singen, wenn sie nicht gerade schreit. Oder heult… Lustig, dass Peter Urban sich über niedergeschlagene Demonstrationen in Baku aufregt. Gibt’s doch auch in Frankfurt.

Donny Montell aus Litauen. Mit Glitzeraugenbinde. Wo sind eigentlich meine Glitzerohrenstöpsel? Was ist das für ein Tanz, den er da aufführt? Erinnert an John Irvings Bären. Gulp.

So. Bosnienherzengowina, wie meine Kollegin sagen würde. Mit Maya Sar und einer Schnulze. Sitzt am Klavier und scheint an einem Juliane-Werding-Look-alike-Contest teilnehmen zu wollen. Und auch sie schreit. Und endlich: die Windmaschine! Da hat es sich doch gelohnt, sich diesen Auftritt bis zum Ende anzuschauen.

Jetzt die russischen Omas. Das halte ich nicht aus. Schlimm, dabei zusehen zu müssen, wie sich sechs Frauen gleichzeitig vor laufenden Kameras derart entwürdigen. Vielleicht bin ich auch heute in keiner passenden Stimmung. Ich find’s mehr peinlich als lustig. Wo ist eigentlich der Sekt?

Und jetzt Island. Einer der erträglicheren Songs, wie ich beim Durchklicken im Vorfeld fand. Meine Favoritin – das bereits an dieser Stelle – ist übrigens die Italienerin. Aber die wird dann bestimmt Letzte. Die „Isen“ bieten klassische ESC-Kost: dramatisches Bühnenbild, ein Duett zweier schöner Menschen – alles ein bißchen sehr dramatisch, aber sicher nicht chancenlos an einem Abend wie diesem.

Ah! Hupfdohlen-Time. „La La Love“ – ein großartiger Titel. Vier Tänzerinnen Mit Hochsteckfrisuren in fleischfarbenen Kleidchen und Kniestrümpfen. Nur die Interpretin darf sich von der Windmaschine durchpusten lassen. Waaaahhh… Dieser Tanz…

Ach, Urban. Die „Kostüme“ sind von Gauthier?! Für mich sieht das nach einer Mischung aus Fabian Hambüchen und Schiesser Feinripp aus. Mademoiselle Aunggun beschränkt sich auf Stahlcorsage und Gardinenstoff. Schreckliches Lied, schrecklicher Auftritt. Schade, dass wir nur einen Biomülleimer zum Rausbringen haben… Bleibt nur ein Griff zum Sektglas als Übersprungshandlung.

So. Die Italienerin. Hopp, Mädel! O.k. – das sieht jetzt wirklich – und da muss ich mich widerwillig Peter Urban anschließen – aus wie eine Amy-Winehouse-Kopie. Sie scheint sogar vor dem Spiegel geübt zu haben. Mmmpf. Trotzdem: Wenn man nicht auf den Bildschirm schaut, isses noch das Beste bisher.

Weiter geht es mit Estland.  Sieht aus wie frisch aus dem Bohlen-Casting – und singt auch so. Zurück auf estnische Musicalbühnen bitte, junger Mann. Vielleicht zu „Der Schöne ist das Biest“ oder so. „Kuula“ heißt „Hör zu“? Och nööö…

Norwegen tritt dagen mit einer Mischung aus Dschingis Khan und unmusikalischer Boygroup an. Der bisher definitiv gruseligste Beitrag des Abends. Wenn man von den Mia- und Unheilig-Auftritten beim Countdown einmal absieht…

Nun also die Sängerin aus dem Gastgeberland. „When the music dies“. Oh. Toni Braxton in weiß. Und in schlecht. Und Farbwechsel und Lichteffekte auf weißen Klamotten hatte auch Stefan Raab damals bei seinem Auftritt. Und die waren cooler. Irgendwie.

Endlich Halbzeit. Das Schlechte: Es kommen nochmal soviele schlimme Lieder. Das Gute: Die Hälfte ist vorbei und ich lebe noch. Vicky Leandros für Rumänien. Ich gehe mal eben zum Kühlschrank.

Kommen wir zu den Dänen. Das Lied ist erstmal so übel gar nicht, aber was soll diese blöde Matrosenkappe? Und was steckt da an der Seite dran? Federn vom Indianerschmuck der ausgeschiedenen Niederländerin? Und das Oberteil? Übrig geblieben von Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band? Aber wie gesagt: Das Lied ist auszuhalten. Und windmaschinenfrei.

Und noch eine Hupfdohle. Diesmal aus Griechenland. Das Kleid wurde wohl vom Merkel entworfen. Sehr sparsame Schnittführung. Da wurde keine Faser verschenkt. „Wir müssen den Gürtel enger schnallen“ – grrrrrr. So. Noch eine niedliche Sirtaki-Einlage. Das war’s.

Und nun der Auftritt der ziemlich unschwedischen Schwedin. Zuviele Vampirfilme gesehen?! Oh. Sie hat ein Gesicht! Scheußliches Lied. Nervige Bühnenshow. Schnell wieder vergessen…

Noch neun Songs. Mir graust es. Der türkische Leichtmatrose ist ja nochmal ganz erträglich. Die Fledermaustänzer scheinen allerdings irgendwie ihren Auftritt mit der Schwedin verpasst zu haben. Da hätten sie viel besser gepasst. Ob dieses Liedchen eine Chance hat? Ich bezweifle es.

Eine Spaniern. Und sie kann singen. Und glitzert überhaupt nicht. Den Vulkanausbruch im Hintergrund hätte es allerdings wirklich nicht gebraucht. Peter Urban hat offensichtlich feuchte Hände bekommen. Und die werden bei der Anmoderation des eutschen Beitrags auch nicht wieder trocken.

Da singt er also, der Westerwälder. Das Lied kann ich langsam nicht mehr ertragen. Das lief etwa dreimal täglich im Büroradio in den letzten Wochen. Da werden wohl einige Mädels anrufen. Man wird sehen.

Und jetzt der maltesische Beitrag zum Thema „Musik, die die Welt nicht braucht“. Der schreit definitiv nach einem Malteserkreuz Aquavit. Habe ich aber nicht. Nur Sekt. Aber der ist bei weitem nicht geeignet, den Schmerz in erträglichen Grenzen zu halten. Aua.

Jetzt darf sich noch die Dame aus der „Former Yugoslavian Republic od Macedonia“ durch ihre drei Minuten Bühnenzeit kreischen. Ebenfalls unerträglich. Zumindest für mich. Wahrscheinlich wird sie also gewinnen… Noch vier Lieder. Hoffnung keimt auf.

Wenn jetzt nicht Jedward dran wären. Die irischen Antworten auf die Leningrad Cowboys tren lustige Klaus-Nomi-Gedenkkostüme, singen wie dereinst die grässlichen Bros und haben sich ihre Haare in fieser Weise angeklatscht. Der Springbrunnen illustriert ihre Überflüssigkeit.

Der Bauherr taucht gerade während des serbischen Beitrags auf und bietet mit eine Cetirizin-Tablette an. Hilft gegen Allergien und macht richtig schön müde. Könnte helfen. Vielleicht probiere ich es gleich. Dann sieht der Serbe vielleicht auch nicht mehr so aus wie Joachim Lamby.

Der vorletzte Song kommt aus der Ukraine. Ziemlich bunt der Auftritt, und das Lied wieder komplett geschrieen statt gesungen. Tragen die Tänzer wirklich neonfarbene Fell-Sicherheitswesten und Röckchen?! Mir wird schlecht. Wenigstens kommt jetzt nur noch ein Beitrag. Dann wahrscheinlich eine halbe Stunde lang Folklore aus Aserbaidschan. Und dann endlich die Punktevergabe. Juhuuu!

Moldau schickt wieder ein nettes Liedchen an den Start. Nicht so nett wie in den vergangenen Jahren, aber immerhin – ein versöhnlicher Abschluss. Die Cetirizin muss warten.

Endlich! Die Votings! Jetzt kommt der wirklich coole Teil des Abends. Die Spannung steigt.

In der Voting-Halbzeit kann ich feststellen, dass meine Welt wieder in Ordnung ist. Alle Lieder, die ich erträglich fand, sind weit abgeschlagen, die geschmacklosen russischen Omas liegen an Platz drei, ihr Altersgenosse Engelbert hat immerhin einen Punkt und die deprimierende Gruftie-Schwedin liegt – uneinholbar? – vorne. Roman Dingsda kriegt sicher gerade eine Kopfnuss von Thomas D.

Na, da geriet Peter Urban ja nochmal richtig aus dem Häuschen gegen Ende. Der deutsche Beitrag landete auf dem achten Platz. Und jetzt endet es wie es immer endet: Eins der schlimmsten Lieder wird nochmals gesungen. Die anschließende Feier auf der Reeperbahn „mit Judith Rakers und großartigen Gästen“ werde ich mir sicher nicht mehr antun. Das hier war alles schon schlimm genug. Im nächsten Jahr gewinnt aber sicher ein noch schrecklicheres Lied. Schon deshalb werde ich es mir wohl wieder ansehen müssen.

4 Kommentare

  1. Ich hab’s gestern nur mit einem Ohr am Radio verfolgt. Ob es daran liegt, dass ich diesmal mit Frauchens Wertungen überhaupt nicht einverstanden bin? :gruebel:

    Für die schwedische Cher-Nummer habe ich mir gerade von einer Mrs Flax deutlich mehr Sympathie versprochen. 😀 „Scheußlich“ allerdings der Schmalz aus Island. Der italienische Beitrag war vulgär.
    Und der talentfreie Marc Almond auf türkisch das wohl Fremdschämwürdigste nach den russischen Omas. *schüttel*

    Gut war ja nichts wirklich, aber ganz anhörbar fand ich den französischen Beitrag, die Sängerin aus Vino-Nino-Ignacio-Land, den doofen aber ohrwurmigen Discoschrott aus Zypern, den ukrainischen (?)
    Beitrag, und die schwedische Nummer war hintenraus auch nicht soo schlecht. Die Schmerzensschreie der Albanerin hab‘ ich leider verpasst. 😀

    Danke für’s Tickern. Schon deshalb werde ich es mir wohl auch nächstes Jahr wieder antun müssen. =)

    1. beim esc gehen die meinungen am ende nur deshalb auseinander, weil man sich nicht darauf einigen kann, was am wenigsten unerträglich war 😀

      also, in diesem jahr ist das durchhalten bis zum ende mir zum ersten mal richtig schwer gefallen. da war ja gar nichts, über das man sich irgendwie freuen konnte ^^

  2. Also – ich habe NICHTS gesehen, ausser dem Schluss der Punktevergabe und dem anschliessenden Schweden-Auftritt. Der waqr absolut grauenhaft. Und mein in diesen Dingen relativ zuverlässiger Neffe
    berichtete zwischendurch, dass der Türke ziemlich gut gewesen sei. Bin also geneigt, der Mrs zuzustimmen. 😀

    1. danke! =)

      vielleicht bin ich mittlerweile auch zu alt für den esc? oder zu jung? es strengt mich jedenfalls von jahr zu jahr mehr an, das bis zum ende durchzuhalten. aber das ende ist ja das beste. also
      muss man durch – oder es ganz lassen. aber da würde mir auch etwas fehlen 😀

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